Excerpt

Back to book

Kapitel 1

JODY STAND im Schwesternzimmer und füllte seinen täglichen Bericht aus. Die Sirene eines Rettungswagens und der Klang stampfender Füße unterbrachen ihn und kündigten einen Neuankömmling im Alta Bates Trauma Center in Berkeley, Kalifornien an. Ein Sanitäter schob eine Trage in den Eingangsbereich, auf der ein Footballspieler in voller Montur lag, der seinen linken Arm in einem falschen Winkel hielt. Auf seiner linken Wange waren Schmutzflecken und sein dunkelblaues Trikot mit dem goldenen Cal-Logo war mit verkrustetem Matsch und Grasstückchen übersät. Ein weiterer Mann, der einen Helm und einen Stoffsack trug, war bei ihm.

Sie landeten in Kabine Sechs, die zu dem Teil der Notaufnahme gehörte, für den Jody verantwortlich war. Er schielte zur Uhr und stellte fest, dass seine Schicht noch zehn Minuten dauerte. Also zwang er sich, wieder auf Doktormodus umzuschalten, denn den hatte er vor ein paar Minuten abgelegt. Als er über den Flur ging, fuhr er sich mit den Händen durch das Haar, um halbwegs professionell auszusehen. Er war seit fast zwölf Stunden im Dienst und sah wahrscheinlich genauso aus, wie er sich fühlte – müde und schlecht gelaunt.

Er hielt einen Moment inne und lauschte den verärgerten Stimmen. Als er den Vorhang beiseiteschob, stellte er fest, dass der verletzte Footballspieler immer noch seine Ausrüstung trug, abgesehen von dem Trikot, das man offensichtlich aufgeschnitten hatte. Seine Schulterpolster waren noch nicht entfernt worden und wirkten in dieser Umgebung völlig fehl am Platz.

Coach Brenner, nach dem Namen, der auf die Tasche seines Hemdes gestickt war, zu urteilen, hörte auf zu reden, sobald Jody durch den Vorhang in den Raum trat. Was auch immer er gesagt hatte, hatte den blonden Mann aufgeregt, denn über dessen Wangen liefen Tränen. Er wischte sie schnell weg, aber die Flecken auf seinen Wangen ließen Jody sich fragen, was vorgefallen war.

„Ist alles in Ordnung?“

„Ich versuche nur herauszufinden, wie wir hier gelandet sind“, antwortete der Coach. „Das hätte nie passieren dürfen.“

„Also, das Wie und Warum spielt momentan keine Rolle. Sie sind hier und ich habe ab jetzt die Verantwortung.“ Jody sprach in ruhigem Tonfall, aber er ließ keinen Spielraum für Diskussionen. „Sie müssen jetzt nach draußen gehen, damit ich Ihren Spieler untersuchen kann.“

Der Mann protestierte, aber Jody ließ sich nicht beirren, während er zusah, wie er die Kabine verließ.

Der Footballspieler seufzte erleichtert, als der Coach sich widerwillig zurückzog, und wandte seinen Blick dann zu Jody. Seine Wangen waren immer noch sichtbar gerötet, aber die Tränen waren versiegt. Jody ging zu dem Waschbecken auf der anderen Seite der Kabine, füllte einen kleinen Plastikbecher mit Wasser und brachte ihn zu seinem Patienten. „Warum nehmen Sie nicht einen Schluck?“

„Danke“, antwortete der Mann. Er nahm mit zitternder Hand den Becher und leerte ihn dankbar. Der Kerl war definitiv ein angenehmer Anblick. Jodys Puls beschleunigte sich und Hitze durchströmte ihn.

„Ich bin Dr. Williams“, stellte er sich vor und warf den leeren Becher in den Müll.

„Clark Stevens“, antwortete der Blonde, als erwartete er, dass Jody den Namen sofort erkannte.

Jody blickte auf die Karteikarte. „So steht es hier. Freut mich, Sie kennenzulernen.“ Er berührte ihn an seinem gesunden Arm und fuhr fort, „Es sieht so aus, als wären Sie gestürzt.“

„Ja, es war dumm. Ich habe mich ablenken lassen und dann den Halt verloren“, antwortete Clark in normalem Ton. Anscheinend hatte er sich von der Aufregung gerade eben wieder erholt.

Jody begann, den Arm des Spielers zu bewegen, hörte aber sofort auf, als er bemerkte, wie dieser zusammenzuckte. „Tut es weh, wenn ich das mache?“

„Ein wenig.“

„Es könnte gebrochen sein, aber ich brauche eine Röntgenaufnahme, um die Diagnose zu bestätigen. Ich werde Ihnen eine Spritze gegen die Schmerzen geben.“

„Nein!“, lehnte Clark entschieden ab. „Keine Spritzen.“

Jody erkannte, dass der Mann Angst hatte und immer noch aufgeregt war, wenn auch aus einem anderen Grund. Er versuchte einen anderen Ansatz und sagte behutsam, „Es wird sehr unangenehm werden, wenn Sie in die Radiologie kommen. Sie sollten sich das wirklich noch einmal überlegen.“

„Nein, ich nehme nur in Extremsituationen Schmerzmittel.“

„Gebrochene Knochen sind nicht extrem genug?“, fragte Jody und zog die Augenbrauen hoch. Der Footballspieler schüttelte den Kopf, und Jody fragte sich, was wohl der Grund dafür sein mochte.

„Es ist Ihre Entscheidung, Clark. Der Pflegehelfer wird Sie in den zweiten Stock bringen, also müssen Sie sich nur hinlegen und entspannen. Gibt es eine Möglichkeit, diese Schulterpolster zu entfernen, ohne sie zu zerschneiden? Ich weiß rein gar nichts über Football.“

Clark nickte und versuchte, die Halterungen zu lösen, aber das war mit nur einer Hand nicht möglich. Jody bemerkte es und beugte sich vor, um zu helfen. Er kämpfte mit den Verschlüssen. Dabei berührte er Clarks Hand und war überrascht über die Funken, die dabei zwischen ihnen zu sprühen schienen. Clark versuchte erst gar nicht zu helfen und schien Jodys Gefummel mit einem leichten Grinsen im Gesicht zu genießen. Jody erkannte den flirtenden Beiklang, und er hielt inne und sah den Footballspieler in einem ganz neuen Licht.

„Sagen Sie mir, wie ich das öffnen kann?“, fragte er, unfähig, den Blick von Clarks Mund abzuwenden. Es war ein Mund, den man nur als einladend bezeichnen konnte.

„Es ist der silberne Verschluss“, sagte Clark und führte Jodys Hand zur Mitte der Schulterpolster. Durch die Hitze und die Spannung, die zwischen ihnen entstanden war, schien die Kabine regelrecht zu schrumpfen. Jody fand den Clip, öffnete ihn und befreite die Polster aus ihrer engen Halterung. Er entfernte sie vorsichtig, wobei es unmöglich war, die harten Muskeln von Clarks glatten Schultern und Oberarmen nicht zu berühren. Sie hielten beide die Luft an, als Jody die Schulterpolster abgestreift hatte.

„Den Arm nicht bewegen“, warnte Jody. Er beobachtete, wie Clark sich auf die Lippe biss und die Stirn runzelte. „Sind Sie sich sicher, dass Sie nichts gegen die Schmerzen haben möchten?“

„Mir geht´s gut, Doc. Und Ihnen?“, fragte Clark und wühlte Jody mit seinem hinterhältigen Lächeln nur noch mehr auf.

Jody hielt inne und überdachte die Frage. Machte Clark sich über ihn lustig oder wollte er sehen, ob er darauf ansprang? Wer war dieser Kerl? Jody trat einen Schritt zurück und entschloss sich zur Vorsicht, trotz der Anziehung, die so unerwartet aufgeflammt war. „Ich bin hier nicht der Patient, Clark. Das sind Sie.“

ICH LAG auf der Trage und beobachtete die Lampen an der Decke, die auf dem Weg zu Radiologie über mich hinweghuschten. Einerseits konnte ich nicht glauben, dass ich mich wegen eines Moments der Unachtsamkeit in dieser Situation befand. Andererseits aber schon. Der größte Mist, der mir in meinem Leben bisher passiert war, ging auf meine Unachtsamkeit zurück. Ich war so im Arsch. Wenn der Arm gebrochen war, würde ich für den Rest der Saison auf der Bank sitzen, und alle bekämen einen Tobsuchtsanfall, besonders mein Vater.

Das einzig Gute an all dem war der Doc. Wie konnte ich nur so viel Glück haben und an jemanden geraten, der so scharf aussah? Der Großteil des Personals in Notaufnahmen sah aus, als hätte es schon bessere Tage erlebt. Das Letzte, was ich erwartet hatte, war ein solcher Hengst mit den Schultern eines Schwimmers. Seine blaue Krankenhauskleidung wirkte, als wäre sie aufgemalt. Dazu noch die Augen mit dem Hundeblick und dieses Wahnsinnslächeln. Ich wusste, ich hatte ein Problem. Er hatte kein Recht, so auszusehen und zu erwarten, dass Männer nicht auf ihn reagierten.

Es hatte mich ziemlich schockiert, dass ich dem Impuls nachgegeben hatte. Normalerweise hielt ich meine Emotionen streng im Zaum, besonders wenn ich zu Hause war. Berkeley und die Footballwelt waren zu klein, als dass ich ein Risiko eingehen konnte. Heute Abend hatte ich mich einfach nicht zurückhalten können. Etwas an dem Doc sprach mich an, und ich war sicher, dass es ihm genauso erging. Ihn beim Herumfummeln an meinen Schulterpolstern zu beobachten überzeugte mich, dass ich nicht ganz falsch lag.

Er fragte sich wahrscheinlich schockiert, was gerade passiert war. Er sagte, er hätte von Football keine Ahnung, also wusste er nicht, wer ich war, aber er würde anfangen, Fragen zu stellen. Dann würde er denken, er hätte sich das alles nur eingebildet. Die Vorstellung, dass Clark Stevens tatsächlich mit ihm geflirtet hatte, wäre unvorstellbar.

Ich presste die Lider zusammen, dann übernahmen die dunklen Gedanken die Kontrolle und öffneten eine Seite meiner Persönlichkeit, die ich fester verschlossen hielt als eine Zelle auf Alcatraz. Es war ein Geheimnis, dem ich mich nur stellte, wenn der Schmerz zu stark wurde und die Sehnsucht mich dazu trieb, auf den unzähligen Pornoseiten im Internet zu surfen. Dieser Teil von mir war sehr erregt bei dem Gedanken, dass der Doc seinen Schwanz an meinen drückte oder der Vorstellung, dass ich vor ihm kniete und er seinen heißen Saft auf mein Gesicht und meine Brust spritzte. Dies war der Clark Stevens, den nur ich kannte. Der Mann, der noch nie eine seiner Fantasien über andere Männer in die Tat umgesetzt hatte.

Auf den Footballfeld tackelte ich Trainingsdummys, bis ich vor Erschöpfung zusammenbrach. Das war das Einzige, was diese Gedanken aus meinem Kopf vertreiben konnte, also schlug ich härter zu, rannte schneller und verwandelte mich in eine Maschine. Eine unaufhaltsame Maschine, die die Welt des College-Football hatte aufhorchen lassen. Ich war letztes Jahr zum Spieler des Jahres 2002 der Pacific-10 Conference gewählt worden, Agenten beobachteten mich, die NFL staunte über meine Statistiken, und mein Vater konnte es nicht erwarten, damit mein letztes Jahr am College zu Ende ging, dass ich gedraftet werden konnte. Ich war der Kerl, dem die Welt zu Füßen lag, wenn ich es nicht verbockte und diese Welt wissen ließ, dass ich schwul war.

DIE AUFZUGTÜREN öffneten sich und Jody beobachtete, wie der Pflegehelfer die Trage wieder in den Flur schob. Er blieb stehen, als Jody näherkam und nach seinem Patienten sah. Schweiß glitt von Clarks Stirn und sein perfektes Gesicht war vom Schmerz gezeichnet.

„Es wird schlimmer, oder?“, fragte Jody.

„Ja, das wird es.“

„Lassen Sie mich Ihnen etwas geben.“

„Kein Kodein, okay? Von dem Zeug muss ich mich übergeben.“

„Gut zu wissen“, erwiderte Jody und notierte es in Clarks Akte. Er bat die Schwester, etwas Demerol zu holen und sie kam mit einer Spritze zurück. Er drehte Clark vorsichtig auf die Seite, schob das Krankenhemd aus dem Weg und legte die erforderliche Stelle frei.

„Hey, passen Sie auf wegen der Paparazzi. Die bekommen viel Geld für ein Foto von meinem Hintern.“

„Entschuldigung“, sagte Jody leise. „Ich hätte warten sollen bis wir wieder in der Kabine sind, aber ich wollte Ihnen so schnell wie möglich etwas gegen die Schmerzen geben.“

„Hey, Doc, das war ein Witz.“

„Ich weiß“, antwortete er abwesend. Jody ging um die Trage herum und hängte die Röntgenbilder auf, während Clark in ein Bett umgebettet wurde.

„Also, ist er gebrochen?“, fragte Clark.

Jody nickte. „Ich fürchte ja. Da ist ein Haarriss an der Ulna, also der Elle, aber der Knochen sollte ohne Probleme verheilen. Wir müssen von hier bis hier einen Gips anlegen.“ Er zog eine unsichtbare Linie auf Clarks linkem Arm und verursachte bei ihm damit Gänsehaut. Jody bemerkte es, aber er sagte nichts.

„Ich schätze, damit ist die Saison für mich vorbei.“

„Wie lange dauert die Saison noch?“

„Sie haben wirklich keine Ahnung von Football, oder?“

Jody schüttelte den Kopf. „Nicht die geringste.“

„Jetzt haben wir die erste Woche im November, Doc. Bald beginnen die Playoffs, und die einzigen Eier, mit denen in der Hand ich dann übers Feld rennen werde, werden meine eigenen sein, nachdem der Coach mich kastriert hat.“

„Das ist ein wenig drastisch, oder? Sie sind so gut wie neu, wenn der Bruch verheilt ist.“

„Scheiße. Sagen Sie das mal meinem Dad. Er wird denken, dass meine Karriere vorbei ist.“

„Das könnte durchaus sein, wenn Sie ein linkshändiger Quarterback sind.“

„Das bin ich nicht“, gab Clark zur Antwort, aber er führte sie nicht weiter aus. „Wie lange brauche ich den Gips?“

„Ungefähr vier bis sechs Wochen.“

„Game over“, murmelte Clark. Er schien durch das Schmerzmittel langsam etwas verwirrt zu sein, also schloss er die Augen, und das war gut so. Jody glaubte nicht, dass er es auch nur einen Moment länger ausgehalten hätte, in diese wasserblauen Augen zu schauen, ohne sich vorzubeugen, und zärtlich jedes Augenlid zu küssen.

Das Telefon klingelte und Jody nahm sofort ab. „Dr. Williams.“ Er hörte der Stimme am anderen Ende der Leitung zu und antwortete, „Ja, ich bin der behandelnde Arzt Ihres Sohnes. Er hat eine kleine Fraktur an seinem Unterarm, und wir sind gerade dabei, den Arm zu schienen.“ Jody blieb still, denn die Stimme am anderen Ende übernahm das Reden. Schließlich sagte er, „Nein, Clark kann nicht ans Telefon kommen, aber ich werde ihm sagen, er soll Sie anrufen, sobald er kann. Gern geschehen.“ Jody legte den Hörer auf. Clark blickte ihn mit glasigen Augen an.

„Wer war das?“, lallte er.

„Ihr Vater.“

„Natürlich.“

„Er klang ehrlich besorgt und möchte, dass Sie ihn so bald wie möglich anrufen.“

„Da bin ich sicher“, seufzte Clark und schloss erneut die Augen. „Und wenn ich ihn nicht anrufe, wird er mich anrufen.“

„Kommen Sie beide nicht miteinander aus?“

„Solange alles nach seinem Kopf geht, kommen wir prima miteinander aus.“

„Ich verstehe.“

„Es ist alles in Ordnung“, antwortete Clark, bevor er einschlief.